Von Bodø war es ein langer Weg bis wir Trelleborg erreichten. Von dort nahmen wir die Fähre nach Rostock, wo wir im Abendrot der untergehenden Sonne ankamen. Nach ein paar viel zu heißen Tagen an der Ostsee ging es weiter Richtung Süden, bis wir nach ein paar Tagen Österreich erreichten. Tausende Kilometer lagen zwischen uns und dem Polarkreis, wo wir die vergangenen drei Monate verbracht hatten. Österreich, genauer gesagt Osttirol mit dem Virgental empfing uns mit strahlendem Sonnenschein. Hier begann, zusammen mit meinen Eltern, unsere ganz persönliche Tour de Tirol mit täglichen Wanderungen, vorzüglichem Essen und herzlichen Menschen.
Ankunft in Österreich – Das Virgental
Die Fahrt nach Österreich dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Dies lag vor allem an den unzähligen Großbaustellen in Deutschland. Soviel Verkehr, die großen, mehrspurigen Autobahnen und die dichte Besiedelungen waren wir kaum mehr gewohnt. In Norwegen kann man selten mehr als 300 km fahren und ist damit den ganzen Tag beschäftigt. Auf dem Alaska-Highway konnte man stundenlang fahren, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Doch in Deutschland stand man regelmäßig im Stau und war von unzähligen Autos auf vier- oder fünf-spurigen Straßen umgeben.
Doch als wir die großen Autobahnen verließen, das Land immer bergiger wurde und wir die Grenze zu Österreich überquerten, wurde es – wurden wir – ruhiger. Wir hatten das Gefühl in einer völlig heilen Welt anzukommen. Alte, gut gepflegte Holzhäuser mit bunt bepflanzten Balkonen standen auf saftig grünen Wiesen. Ziegen, Schafe und Kühe lagen auf diesen Wiesen und fraßen genüßlich das saftige Gras und im Hintergrund erhoben sich die majestätischen Berge. Alles sah so ordentlich, akkurat und gepflegt aus. Die Wälder legten langsam ihr herbstliches Kleid an und eine frische Brise wehte uns entgegen. Trotz des wärmenden Sonnenscheins kündete diese Brise von der nahenden, kalten Jahreszeit, die alles in ein märchenhaftes Winterland verwandeln würde.
Aber noch lud das Wetter zum Wandern ein und voller Vorfreude erreichten wir unser Zuhause für die nächsten Tage: die kleine Gemeinde Virgen im gleichnamigen Tal. Von hier wollten wir verschiedene Touren – fernab des Lonely Planet Tourismus – unternehmen. Wer unseren Blog verfolgt wird sich nun vielleicht fragen, warum wir keine Mehrtagestouren unternahmen, schließlich bietet sich das Gebiet ja geradezu dafür an z.B. mit Venediger oder Lasörling Höhenweg. Mit 70 Jahren schaffen dies meine Eltern allerdings nicht mehr und mit ihnen wollten wir Tageswanderungen unternehmen, denn Österreich war für uns zugleich ein Familientreffen. Wenn man 688 Tage um die Welt reist, muss dies auch mal sein. Doch soviel vorweg: längere Touren werden hier bestimmt in Zukunft noch folgen, denn die Berge, die Landschaft und die Freundlichkeit der Menschen im Virgental haben uns verzaubert.
Herzliche Flexibilität in Österreichs Gasthäusern
Wer viel draußen an der frischen Luft unterwegs ist, Berge erklimmt und Täler durchwandert, der wird wissen, dass dies natürlich auch hungrig macht. Deftige Brotzeiten und süße Speisen gehören dabei ebenso zum Wandern in Österreich, wie der Weg an sich. Fast an allen Pfaden warten bewirtschaftete Almen oder Hütten auf hungrige Wanderer, um sie für den weiteren Weg zu stärken oder ihren Durst erfrischend zu löschen.
Wer uns kennt, der wird sich natürlich denken können, dass wir mehr als nur einmal solch süßen Verführungen erlegen sind. Sei es während einer Wanderung oder danach mit den köstlichen Kuchen des Virgener Bauernladens. Auf den Hütten wurden wir so manches Mal überrascht: zum einen von der Raffinesse der Präsentation/Anrichtung der Speisen, die uns oft in Erstaunen versetzten und man sich fragte, ob man wirklich auf einer kleinen Alpenhütte sei oder in einem Nobelrestaurant. Zum anderen von der Frische der zubereiteten Speisen, denn es dauerte seine Zeit bis die Leckereien serviert wurden, auch wenn nur eine Handvoll Wanderer da waren. Hier wurde noch auf Bestellung gekocht und nicht vorbereiteten Speisen auf den Teller geklatscht.
Die vergangenen Monate/Jahre waren wir es gewohnt selbst zu kochen, doch im Virgental gingen wir fast jeden Abend essen. So kamen wir nicht nur in den Genuss der hervorragenden Süßspeisen der Österreicher, sondern erschmeckten auch herzhafte Köstlichkeiten. Eines fiel uns dabei besonders auf: Sonderwünsche stellten nie ein Problem dar. Geht nicht? Die Aussage gab es nicht! „Es wird alles frisch gekocht,“ versicherte uns jedesmal die Wirtin des Gasthauses Linder, wenn wir wieder mit einer Sonderbestellung aufwarteten. „Somit ist dies alles kein Problem.“ In der Zwischenzeit schlürften wir unseren unglaublich leckeren Hollundersaft und die Wirtin ließ uns an ihrem Insiderwissen über diese und jene Wanderung teilhaben, ja versorgte uns sogar mit einschlägiger Wanderliteratur. Diese Herzlichkeit machte uns sprachlos.
Unterwegs im Virgental und Umgebung – unsere Wanderungen
In Norwegen auf der Insel Senja oder den Lofoten standen wir meist auf schroffen Gipfeln mit spektakulären Aussichten. Selten waren diese höher als 1000 m. Aber, da sie eben so weit im Norden liegen, waren sie von ihrer Gestalt atemberaubend. Etwas anderes ist es da im Virgental: der Ort Virgen liegt auf 1200 m Höhe. Also ist der Ort bereits höher als unser höchster Gipfel, den wir auf den Lofoten bestiegen. Um vergleichbares Gelände wie in Norwegen zu erreichen müssen wir schon jenseits der 3000 m wandern. Dies war im Rahmen des Familientreffens nicht möglich. Kein Drama, denn schließlich wollen wir wiederkommen.
Zusammen mit meinen Eltern wanderten wir täglich zwischen 12 – 16 km auf meist breiten Forststraßen oder auf schmalen Wanderpfaden. Dabei ging es zwischen 200 m oder 800 m hinauf. Mal wanderten wir durch die Wiesen oberhalb von Virgen und im Tal an der Isel zurück, mal ging es durch Innergschlöss bis zur Venedigerhaus, wo wir einen vorzüglichen Heidelbeer-Kaiserschmarrn aßen.
Immer Zeit für Gespräche, philosophieren über die Welt und schwelgen in Erinnerung, während uns eine herrliche September-Sonne auf den Pelz schien. Zum Leidwesen meiner Eltern konnte ich mich nicht so wirklich an meine Vergangenheit erinnern. Immer wenn sie fragten „Weißt Du noch, als Du hier vor 30 Jahren im Fluss gespielt und einen Staudamm gebaut hast?“. Äh nein … Daran kann ich mich leider nicht erinnern. „Hier bist Du vor 30 Jahren mit einem Seil geklettert“. Auch diese Info konnte ich meinen grauen Zellen nicht entlocken. Trotzdem wirkte alles vertraut und irgendwie bekannt, eben so als wäre man vor Jahrzehnten an diesem Ort gewesen.
Auf eine nicht so anstrengende Tour folgte meist eine fordernde. So erklommen wir auch die Lucknerhütte oder die Johannishütte. Nein, wir ließen uns nicht mit dem Auto hochfahren. Auf der Lucknerhütte gab es köstliche Germknödel gefüllt mit Heidelbeeren, so dass selbst Manu dieser süßen Mehlspeise nicht widerstehen konnte. War der Tag mal verregnet, besuchten wir die Umbal Wasserfälle oder wenn meine Eltern doch einen Ruhetag benötigten erklommen wir Jüngeren schnell den Speikboden. Wie üblich wenn wir wandern gehen machte uns an dem Tag aber leider das Wetter einen Strich durch die Rechnung und so sahen wir von einem Weiterwandern zum Donnerstein ab. Zu kalt und stürmisch wurde das Wetter und dicke Wolken schoben sich ins Tal. Kein Wunder, war für morgen doch ein reiner Regentag vorhergesagt!
Die schönste Wanderung war allerdings unsere gemeinsame Tour zur Essener und Rostockerhütte.
Herbstlich, winterliche Wanderung zu Essener und Rostockerhütte
Gestern regnete es den ganzen Tag und so hatte es über Nacht geschneit. Alle Berggipfel waren frisch gezuckert und erstrahlten schneeweiß. Klar, dass uns alle am Morgen Begeisterungsstürme erfassten und es kein Halten mehr gab für jung und alt. Unsere Rucksäcke waren diesmal vollgepackt mit Klamotten, denn auch im Virgental herrschten nur 10 Grad. Wir fuhren bis zum Parkplatz in Ströden und stellten dort Gunnar ab. Schnell mündete die breite Forststraße in einen Wanderpfad, der sich den Berg hinauf schlängelte.
Das Tal wirkte wie ein Windkanal, so dass wir uns, sobald wir den schützenden Wald hinter uns gelassen hatten, in unsere winddichten Jacken einpackten. Der Aufstieg war zwar schweißtreibend aber der eiskalte Wind kühlte uns ganz schön ab. So waren wir froh, als wir die Essener und Rostockerhütte auf 2208 m Höhe erreichten und uns in der warmen Gaststube aufwärmen und bei leckeren Heidelbeerknödeln stärken konnten.
Das Bergpanorama war atemberaubend und umliegenden gezuckerten Gipfel taten ihr übriges, dass wir verzückt die Landschaft durch das Fenster beobachteten. Am meisten in Verzückung kamen wir allerdings, als sich der schwarz-weiße Kater der Hütte zeigte. Er war so gar nicht an uns interessiert, mehr nach dem Motto: “Bitte, fasst mich nicht an!“. Dabei schaute er mit einem regelrecht flehenden und um Hilfe bittenden Blick zum Hüttenwirt. Nur für diesen hatte der Kater Augen und miaute ihn an. Erst als Manu ein Taschentuch zu einer “Papierschnur” zusammendrehte war das Eis gebrochen und der Kater tobte ausgelassen durch die Stube. Hoffentlich ist er auch im nächsten Jahr noch kerngesund und mit einem schön gepflegten Fell auf der Hütte zu finden. Überwintern soll er ja irgendwo an einem lauschigen Plätzchen im Virgental.
Fazit
Ach ja, das Virgental ist schon toll und wir hatten eine grandiose Zeit dort. Zum Glück ist es nicht so weit von Deutschland entfernt, so dass wir jederzeit kurzfristig zurückkehren können. Schließlich gibt es noch so manchen Gipfel zu erklimmen, Höhenweg zu laufen oder auch Süßspeise zu essen. Und wer weiß, vielleicht bleiben wir sogar für länger … Nichts ist in Stein gemeißelt. Das ist das Gute an der heutigen Zeit – alles kann, nichts muss.
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