Neuer Monat – neue Geschichten, denn auch diesen Monat möchten wir euch an unseren Erlebnissen in der Antarktis teilhaben lassen. 19 Tage waren wir mit der MS Sea Spirit von Poseidon Expeditions unterwegs. Ausgehend von Ushuaia erkundeten wir die Falklandinseln, Südgeorgien LINK und die Antarktis LINK, bevor es über die berühmt-berüchtigte Drake Passage wieder zurück nach Argentinien ging. Es war eine unbeschreiblich intensive Zeit voller einmaliger Naturerlebnisse. Wir haben in dieser Zeit soviel neues und wunderschönes erlebt, dass es einfach zuviel war, um es nur in einem Artikel beschreiben zu können … außer natürlich ihr hättet gerade die nächste Woche nichts zu tun und Zeit zum Lesen. Da dies aber vermutlich nicht der Fall sein wird, haben wir uns entschlossen Euch unsere Erlebnisse in einer monatlich erscheinenden Reihe zu präsentieren. Solltet ihr einen der bisherigen Artikel verpasst haben, dann könnt ihr hier ein Inhaltsverzeichnis aller bisher erschienen Beiträge finden. Ansonsten – falls euch unsere Geschichten gefallen – lohnt es sich vielleicht, sich für unseren Newsletter anzumelden, denn so verpasst ihr keine unserer Neuigkeiten mehr. Doch genug davon, denn heute wollen wir euch von einem kleinen Ort auf Südgeorgien erzählen, welcher fernab im Südatlantik liegt. Die Rede ist von Grytviken.
Grytvikens Blütezeit
Das Wort Grytviken stammt aus dem schwedischen und setzt sich aus den zwei Worten „gryta“ was soviel wie die „Kessel“ oder „Topf“ heißt und „vik“ was „Bucht“ bedeutet zusammen. Grytviken ist als die „Kesselbucht“ bekannt. Diesen Namen erhielt der Ort von dem schwedischen Archäologen Johan Gunnar Andersson (1874 – 1960), der die Bucht nach den dreibeinigen Kesseln benannte, welche er überall am Strand verteilt fand. Die Kessel dienten den früheren Robbenfängern zum Auskochen des Fettes der erlegten Robben. Doch nicht nur Robben wurden hier geschlachtet, sondern auch Wale. So finden sich überall in Grytviken die rostigen Überreste der alten Walfang-Ära, die für Grytviken von 1904 bis 1966 andauerte. Der Robbenfang auf Grytviken begann bereits viel früher.
Nachdem Kapitän Cook auf Südgeorgien landetete und berichtete, dass es hier sehr viele Pelzrobben gab, machten sich bereits 1786 die ersten Jäger zu den Inseln auf, um Robben zu erlegen. Schätzungen gehen davon aus, dass bis 1825 über 1,2 Millionen Robben erlegt wurden. Eine unglaubliche Zahl. Diese hohen Schlachtquoten führten unweigerlich dazu, dass die Pelzrobben auf Südgeorgien bald als fast ausgerottet galten. Der Robbenpelzhandel kam 1912 zum Erliegen und die Robbenzahlen konnten sich zum Glück seitdem wieder erholen. Doch wie sich jeder denken kann, war mit der fast Ausrottung der Pelzrobben die Jagd noch nicht vorbei. Zu lukrativ war das Geschärft mit Öl und Pelzen.
So wandten sich die Pelzrobbenfänger anderen Tieren zu, wie z.B. den riesigen Seeelefanten, die hier auf Südgeorgien ebenfalls zahlreich vertreten waren. Die getöteten Seeelefanten wurden zerlegt und ihr Fettgewebe – bei Walen und Robben „Blubber“ genannt – wurde in großen, dreibeinigen Töpfen ausgekocht, um das Öl zu extrahieren. Dieses benötigte man damals für Lampen, zur Lederbehandlung und als Schmiermittel. In Grytviken wurden ab 1909 neben Walen auch Seeelefanten erlegt. Alljährlich töteten die Jäger gut 6000 Tiere, aus denen sie 2000 Tonnen hochwertiges Öl extrahieren konnten. Im Gegensatz zu den Pelzrobben wurde das Töten der Seeelefanten jedoch bereits damals reglementiert, so dass es zum Glück nicht zu einer Ausrottung der Tiere kam.
Doch das Hauptaugenmerk in Grytviken lag auf dem Walfang. Die erste Walfangstation wurde hier von dem Norweger C.A. Larsen 1904 gegründet. Diese war nicht nur die erste ihrer Art auf Südgeorgien, sie war auch die erste Station in der Antarktis – der Startpunkt einer blutigen Ära. Die zwei Transportschiffe „Rolf“ und „Louise“ brachten das benötigte Personal und Material nach Südgeorgien. Noch immer kann man im Hafen die ausgebrannten Hüllen der Schiffe langsam verwittern sehen. Der Walfang war sehr profitabel, gab es doch reichlich Wale in diesem Gebiet zu fangen, kein Wunder also, dass sich immer mehr Walfangindustrien hier ansiedelten. Der limitierende Faktor zu der Zeit war nicht die Menge der Wale, sondern der Mangel an Fässern zum Verschiffen. So nutzte man z.B. nur die „Filetstücke“ der Wale (den Blubber), während der restliche Kadaver ins Meer geworfen wurde oder am Strand verrotteten. Kein Wunder, dass man heutzutage noch überall Walknochen am Strand finden kann.
Der Bedarf an Walerzeugnissen stieg stetig, vor allem, nachdem der Prozess des Ölhärtens entdeckt wurde. Das gehärtete Öl benötigte man für Margarine und Seife, die Knochen und das Fleisch wurden ausgekocht und anschließend zu „Guano“ gemahlen, welches als Dünger und Nahrungsergänzungsmittel für Nutztiere galt. Später wurde auch das Fleisch gefroren und für den Verzehr verschifft. Mit dem steigenden Bedarf stiegen auch die Fangquoten: in fünf Jahren verdreifachten sich die Fänge auf 40201 Wale pro Jahr!
Dies musste zwangsläufig zu einer Katastrophe auf Grytviken führen aber nicht, wie vielleicht gedacht, durch den Zusammenbruch der Walpopulation, sondern durch die massenhafte Überproduktion. Die Preise fielen ins Bodenlose und der aufwändige und harte Walfang unten im tiefen Süden wurde unlukrativ. Wie bereits erwähnt, konnte sich Grytviken als Fangstation noch etwas halten, da auf den Fang von Seeelefanten umgestiegen wurde. Doch 1962 schloss auch diese Walfangstation ihre Pforten. Später wollten die Japaner Grytviken nochmals auferstehen lassen und die Station für den Versand von gefrorenem Walfleisch nutzen, doch waren die einst so zahlreichen Wale bereits verschwunden. Insgesamt wurden 175250 Wale in den verschiedenen Walfangstationen auf Südgeorgien verarbeitet und alles begann am 24.12.1904 in Grytviken.
Längst vergangene Zeiten
Heute sieht man auf Grytviken nur noch die Überreste dieser blutigen Ära. Ausgeblichene Walknochen ragen aus dem grünen Gras hervor, die alten Transportschiffe und Industrieanlagen rosten langsam vor sich hin und überall hält die Natur wieder Einzug.
Schon vom Meer aus begrüßte uns der kleine Ort mit seiner leuchtend weißen Kirche, die erhöht auf einem saftig, grünen Grashügel steht. Die 1913 errichtete Kirche der Walfänger dient noch immer als Gotteshaus. Als wir an den Ufern Grytvikens anlanden, werden wir von unzähligen Pelzrobben begrüßt. Wenn man die Geschichte dieser Tiere kennt, freut es umso mehr, sie heutzutage so zahlreich anzutreffen – auch wenn man sich vor den angriffslustigen Männchen extrem in Acht nehmen muss.
Als erstes besuchten wir den Friedhof von Grytviken – ein Muss für jeden Besucher. Dort befindet sich das Grab des berühmten englischen Polarabenteurers Sir Ernest Shackleton. Hier wurde er auf Wunsch seiner Frau am 5. März 1922 beigesetzt. Danach wanderten wir durch die alten, verlassenen Ruinen der ehemaligen Walfangstation. Das raue Klima, Wind und Wetter, haben den alten Gebäuden sehr zugesetzt. Den Elementen überlassen rosten sie langsam vor sich hin und sind stillschweigende Zeugen einer bewegten Vergangenheit.
Ansonsten gibt es in Grytviken noch ein paar moderne Gebäude: ein Museum, ein Souvenirshop und natürlich eine Post, um den Lieben daheim eine ganz besondere Postkarte schicken zu können. Doch muss man bei dem Besuch der kleinen Stadt immer wachsam sein. Nicht nur Pelzrobben „lauern einem immer wieder auf“ – zum Glück kann man sie leicht an ihrem spezifischen Geruch orten – sondern auch Seeelefanten liegen gemütlich in der Sonne und saugen ihre wärmenden Strahlen auf. Zum Glück sind diese großen Tiere aber im Gegensatz zu den Pelzrobben eher von gutmütiger Natur, sodass sie einen meistens völlig ignorieren – vorausgesetzt man respektiert ihre Privatsphäre und gibt ihnen genügend Raum. Aber das sollte für jeden selbstverständlich sein. Die Natur hat hier Vorrang und wir sind nur zu Gast!
Nachdem wir uns den Ort angeschaut hatten und durch die Zeit gewandelt waren, wanderten wir noch zu einem Aussichtspunkt, den die Crew von Sir Ernest Shackleton für ihn zum Andenken errichtete. Wenn man es erst einmal durch die Mengen an Pelzrobben schaffte – zum Glück stand das Expeditionsteam einem hier hilfreich zur Seite – hatte man von hier oben einen fantastischen Ausblick über Grytviken und das raue Meer. Der stürmisch, kalte Wind blies einem kräftig um die Nase. Hier hingen wir unseren Gedanken nach. Dick eingemummelt in unsere wärmende, moderne Funktionskleidung sinnierten wir darüber, was die Menschen zu der Zeit von Shackleton und Co damals alles leisten mussten, um diesen unwirschen Bedingen zu trotzen. Dunkle Wolken zogen am Horizont auf und erste dicke Regentropfen fielen auf uns herab. Wir zogen unsere Kragen noch etwas höher ins Gesicht und machten uns auf den Weg zurück in unser warmes Quartier. Hier zu überwintern, nur in Felle gekleidet, mit einem kleinen Holzfeuer und auf sich allein gestellt? Oh, dass ist wirklich nur was für die rausten Seebären da draußen. Wir zogen da eine heiße Tasse Tee an Bord der MS Sea Spirit vor.
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